Infektiologe Wenisch: “Hol dir die Impfung, spüre die Erleichterung!”

Christoph Wenisch bei seiner Impfung am 27. Dezember. Das Foto wurde von zahlreichen internationalen Medien übernommen. APA/GEORGES SCHNEIDER

08.01.2021 um 17:03von Köksal Baltaci

Sein Impf-Foto ging um die Welt, seither hält er die Öffentlichkeit mit einem Impf-Tagebuch auf dem Laufenden. Christoph Wenisch, Abteilungsvorstand der 4. Medizinischen Abteilung mit Infektions- und Tropenmedizin sowie Intensivstation in der Klinik Favoriten, im „Presse”-Interview.

„Es ist nicht lustig, ein Jahr lang jeden Tag Angst vor einer Covid-Infektion haben zu müssen. Das habe ich jetzt hinter mir. Es ist ein Geschenk der Wissenschaft, dass wir so schnell eine hochwirksame Impfung gegen diese Geißel der Menschheit bekommen haben“, sagt Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung der Klinik Favoriten, der am 27. Dezember als eine der ersten Personen in Österreich gegen das Coronavirus geimpft wurde. „Wenn nicht ein wirklich triftiger medizinischer Grund dagegen spricht, rate ich jedem – lass dich impfen und gewinne damit deine Freiheit und Leichtigkeit zurück.“ Relevante Impfreaktionen habe er bisher keine gehabt. „Ich dachte mir zwischenzeitlich sogar, ob wohl bei der Impfung eh nichts schief gegangen ist… nein, im Ernst, der Impfstoff scheint wirklich sehr gut verträglich zu sein. Das ist übrigens auch die Rückmeldung, die ich von allen meinem Kolleginnen und Kollegen bekomme, die auch schon geimpft worden sind.“ Was die Massentests angeht, sei das Testen von gesunden Personen „bei effektiver Impfung ohnehin eher gestrig und damit überholt”. Christoph Wenisch im Interview.

Die Presse: Sie wurden als eine der ersten Personen in Wien geimpft. Ihr Foto ging buchstäblich um die Welt. Als jemand, der eigentlich im Hintergrund arbeitet, muss das ungewohnt gewesen sein. Wie haben Sie die Titelseiten und den neuerworbenen „Ruhm“ empfunden?
Christoph Wenisch: Freude, Demut und Dankbarkeit. Das waren die Emotionen, die ich am Tag meiner Covid-Schutzimpfung empfunden habe. Die stecken auch hinter der Pose, für die ich mich bei dem medienöffentlichen Impftermin entschieden habe. Für mich war es ein wenig surreal, dass ausgerechnet dieses Bild um die Welt gegangen ist. Wir waren ja nicht die ersten in Europa. Aber wenn das bedeutet, dass ich meine Emotion gut rübergebracht habe, dann freut es mich. Und wenn es möglichst viele Menschen dazu motiviert, sich die Nadel ansetzen zu lassen, dann hat das Foto seinen Zweck erfüllt.

Haben sich mittlerweile irgendwelche Impfreaktionen oder Nebenwirkungen gezeigt?
Keine relevanten Reaktionen, schon gar keine Nebenwirkungen – absolut nichts. Ich dachte mir zwischenzeitlich sogar, ob wohl bei der Impfung eh nichts schief gegangen ist… nein, im Ernst, der Impfstoff scheint wirklich sehr gut verträglich zu sein. Das ist übrigens auch die Rückmeldung, die ich von all meinen Kolleginnen und Kollegen bekomme, die auch schon geimpft worden sind. Mal sehen, wie es bei der zweiten Teilimpfung ausschaut. Da sollen die Reaktionen wohl etwas spürbarer sein. Die wesentliche „Nebenwirkung“ der Impfung war das sehr gute Gefühl der Erleichterung, endlich nicht mehr an Covid-19 zu erkranken.

Was sagen Sie zu Leuten, die Sie als Experten fragen, ob sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen sollen?
Denen sage ich: Schaut mich an – ich habe mich impfen lassen und es geht mir hervorragend. Und zwar körperlich – vor allem aber auch psychisch. Ich glaube, ich kann für mein gesamtes Team sprechen: Es ist nicht lustig, ein Jahr lang jeden Tag Angst vor einer Covid-Infektion haben zu müssen. Das habe ich jetzt hinter mir. Es ist ein Geschenk der Wissenschaft, dass wir so schnell eine hochwirksame Impfung gegen diese Geißel der Menschheit bekommen haben. Wenn nicht ein wirklich triftiger medizinischer Grund dagegen spricht, dann rate ich jedem: Lass dich impfen und gewinne damit deine Freiheit und Leichtigkeit zurück!

Wie stehen Sie persönlich zu einer Impfpflicht?
Das ist eine politische Frage – nicht meine Baustelle. Aber ich denke, wir brauchen uns dieser Frage gar nicht zu widmen. Denn der Nutzen der Covid-Schutzimpfung spricht für sich. Die bisher zugelassenen Impfstoffe sind hoch wirksam und verursachen kaum nennenswerte Nebenwirkungen. Genau das, was wir uns auch bei vielen anderen Krankheiten wünschen würden. Das werden mit der Zeit immer mehr Menschen begreifen und sich auch für die Impfung entscheiden. Denn die Alternative ist schlecht – nämlich die Infektion zu bekommen.

Die britische Variante des Coronavirus ist wenig überraschend in Österreich angekommen und sorgt für Verunsicherung. Wie schätzen Sie die Gefahr durch die neuen Mutationen ein?
Virusmutationen sind ja nichts Ungewöhnliches. Und so beunruhigend die Nachrichten aus Großbritannien auch sind: Es gibt bis dato keinen Hinweis darauf, dass die Impfung gegen die Virusmutanten nicht wirken sollte. Was wir aber wissen, ist, dass das Virus offenbar infektiöser geworden ist. Für mich ein Grund mehr, sich möglichst rasch impfen zu lassen.

Wie bewerten Sie eigentlich die Diskussion darüber, ob die Impfung „nur“ vor dem Ausbruch der Krankheit schützt oder auch vor der Transmission des Virus? Denn eigentlich sind die Voraussetzungen dieselben wie etwa bei der Grippe-Impfung, dort wird diese Diskussion aber nicht geführt. Woran liegt das? Vielleicht daran, dass es bei der Corona-Impfung einfach noch nicht so viele Daten gibt und man daher extra vorsichtig ist mit diesbezüglichen Ansagen?
Das kann einer der Gründe dafür sein. Aber wichtig ist etwas ganz anderes: Die Diskussion darf keinesfalls den Riesen-Nutzen überlagern, den die Impfung in jedem Fall hat: nämlich den Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf. Vor knapp einem Jahr standen wir noch einer potenziell tödlichen Viruserkrankung gegenüber – ohne Therapieansatz. Und jetzt haben wir bereits eine Impfung – wir sind unglaublich weit gekommen.

Die Bevölkerung kann sich nun doch nicht eine Woche zuvor aus dem laufenden Lockdown „freitesten“. Bedauern Sie diese Entscheidung? Oder halten Sie ohnehin nichts vom Konzept des Freitestens?
Auch das ist ein Thema, das ich lieber der Politik überlassen möchte. Das Testen von Gesunden ist bei effektiver Impfung ohnehin eher gestrig und damit überholt. Ergo: Volle Konzentration auf die Impfung, dann erledigt sich das ganz von selbst.

Was sagen Sie zu jemandem, der meint: „Ich halte dieses halbe Leben nicht mehr aus. Ich will endlich wieder normal leben und gehe dafür auch mehr Risiken ein.“
Dem sage ich: Hol dir die Impfung, spüre die Erleichterung. Bei effektiver Krankheitskontrolle sind keine Restriktionen, Gurgelstudien, Teststraßen, Masken, etc. mehr gerechtfertigt und werden rasch Vergangenheit sein (müssen).

Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass es in Österreich kein wirkliches Infektiologie-Zentrum gibt, das mehrere Bundesländer umfasst und interdisziplinär ist? Wir haben viele Solisten wie beispielsweise Sie, aber kein Orchester. Sollte daher eine der Erkenntnisse der Coronakrise sein, ein entsprechendes Kompetenzzentrum aufzubauen?
100 Prozent korrekt, das wäre wenig Aufwand und hätte uns sehr gut helfen können, da damit die Politik eine konsolidierte medizinische Aussage zu medizinischen Fragestellungen bekäme und dadurch leichter sowie treffsicherer Entscheidungen hinsichtlich Infektionskrankheiten – nicht nur durch SARS-Cov-2 – treffen könnte. Ich habe das persönlich vor mehr als zehn Jahren leider erfolglos im Gesundheitsministerium im Rahmen der Novellierung der Hygienerichtlinien angeregt. Hygiene bei und Behandlung von Infektionen sind ja eine logisch verbundene Herausforderung. Man hat sich damals nur für die Novellierung der Hygieneverordnungen und gegen die Etablierung einer Netzwerkstruktur für die Behandlung, also Diagnose und Therapie von Infektionen entschieden. Dadurch klingt das „österreichische Corona-Orchester“ mit Bund, Ländern, Expertinnen und Experten sowie und Politikerinnen und Politiker halt nicht so gut wie unsere Philharmoniker. Wir sind an meiner Abteilung in Wien in Folge dieses nationalen Mangels ja seit Jahrzehnten im ständigen deutschen Arbeitskreis für die Behandlung von Infektionen durch hochpathogene Erreger in Deutschland Gast-Mitglied. Dadurch ist der regelhafte Austausch aber nur an meiner Abteilung gewährleistet. Diesen Raum für Verbesserung könnten wir ja in Zukunft – stimuliert durch die derzeitige Realität – ja gerne füllen.